Die Schönheit der kleinen Lösung. Von der 15. Architektur-Biennale in Venedig

Es ist noch gar nicht lange her, da konnte Architektur gar nicht groß und spektakulär genug sein. Zaha Hadid, Daniel Liebeskind oder Norman Foster wetteiferten über Jahre um den nächsten architektonischen Superlativ und wurden dafür von den Feuilletons als Stararchitekten gefeiert

Eine Entwicklung, die Ende der 1990er Jahre in der nordspanischen Industriestadt Bilbao ihren Anfang nahm, wo Frank O. Gehry eine Dependance des Guggenheim Museums plante. Diesem bis dato einzigartig spektakulären Bauwerk war es zu verdanken, dass die strukturschwache Stadt aus dem Zustand der Bedeutungslosigkeit gerissen und ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit katapultiert wurde. Kein Wunder, dass Städte auf der ganzen Welt versucht haben, das Erfolgsmodell aus Bilbao zu kopieren. Auch sie wollten Leuchtturmprojekte, die in der ganzen Welt sichtbar sind und Aufmerksamkeit, Tourismus und Investitionen anziehen.

Den Höhepunkt dieser global agierenden Aufmerksamkeits-Architektur bildeten schließlich die künstlichen Inselwelten im Persischen Golf: gigantische Landgewinnungsprojekte, die den Formen von Palmen („The Palm Jumeirah“) oder Meerestieren („Durrat Al Bahrain“) nachempfunden wurden und sich in allen erdenklichen Medien Sichtbarkeit verschafften: in der Tagespresse, in der Boulevardpresse („Scheich schenkt Michael Schumacher eine Insel!“), im World Wide Web und sogar in Google Earth, wo man die künstlichen Inseln aus der Vogelperspektive bewundern kann. „Alles ist machbar!“, das war die Botschaft dieser Projekte. Aber keines von ihnen brachte diese Botschaft besser auf den Punkt als „The World“: ein künstliches Inselarchipel vor der Küste Dubais, das den Konturen einer Erdkarte nachempfunden war. Eine ganze Welt sollte hier entstehen, erschaffen von wohlhabenden Scheichs und ehrgeizigen Ingenieuren! Doch das Staunen über das Mega-Projekt sollte nicht von langer Dauer sein. Die Planer hatten die Kraft des Wassers unterschätzt, das sich nun Stück für Stück den Sand zurückholt, der zuvor mit viel Aufwand zu Inseln aufgeschüttet wurde. "Die Welt geht unter", titelte der "Daily Telegraph" treffend und machte die Erosion von „The World“ kurzerhand zur Metapher für den prekären Zustand des Planeten Erde.

Heute, einige Wirtschaftskrisen und Immobilienblasen später, sitzt das Geld für die Großfantasien von Investoren und Stararchitekten nicht mehr so locker. Und auch die öffentliche Akzeptanz für diese Projekte ist gesunken, eben wegen des prekären Zustands der Erde. Wozu Glanz und Glamour, wenn die Herausforderungen durch Klimawandel, Armut, Gewalt und Migration immer größer werden? Warum nach internationaler Aufmerksamkeit heischen, wenn dringend Lösungen vor Ort gebraucht werden?

Aber kann Architektur solche Lösungen finden? Ja, sie kann! Das beweist die aktuelle Architektur-Biennale in Venedig, die weltweit größte Architekturausstellung, die dieser Tage zum 15. Mal stattfindet. Großprojekte sucht man hier vergebens und auch die Big Names der internationalen Architekturszene sind eher rar. Stattdessen werden Architekten vorgestellt, von denen man hierzulande wohl noch nie gehört hat. Und es werden Projekte gezeigt, die sich oft mit bescheidenen Mitteln den Bedingungen und Problemen vor Ort widmen und dabei zu erstaunlich nützlichen und schönen Lösungen kommen. Im zentralen Ausstellungsgebäude in den Giardini wird man auch sogleich von einer solchen Architektur empfangen: von einem atemberaubenden, selbsttragenden Fachwerkgewölbe des paraguayischen Architekten Solano Benítez. Diese Fachwerkkonstruktion ist nicht etwa aus Hightech-Material gebaut, sondern aus grobem Backstein und Mörtel. Damit gelingt es Benítez, dem billigsten Baustoff des Landes eine regionaltypische, leicht herstellbare und zugleich überaus zeitgenössische Form zu verleihen.

Auch die Ausstellung im Arsenale ist reich an solchen Projekten. Da ist zum Beispiel die Bibliothek von Milinda Pathiraja in Ambepussa in Sri Lanka. Dieses Gebäude verbessert nicht nur die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort, sondern auch das Leben derer, die es gebaut haben: ehemalige Soldaten der sri-lankischen Armee, die auf diese Weise eine neue Perspektive im zivilen Alltag erhalten und Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen konnten.

Oder die Projekte des chinesischen Architekten Zhang Ke, der mit kleinen und liebevoll gestalteten, öffentlichen Bauwerken traditionelle Hofhäuser nachverdichtet. Mit dieser Maßnahme möchte er beweisen, dass die vielfach vom Abriss bedrohten Hutongs auch im 21. Jahrhundert hochwertiges Wohnen erlauben und eine bessere Alternative zum staatlichen Massenwohnungsbau sind.

Oder die Makako Floating School, die für einen Slum in Lagos, Nigeria, entwickelt wurde. Dort sind die Menschen nämlich nicht nur arm an Geld, sondern auch arm an Bauland, weshalb sich der Slum vom Festland bis weit ins Wasser erstreckt. Die schwimmende Schule des Architekten Kunlé Adeyemi benötigt kein Bauland. Sie kann sich jederzeit den Bedingungen des Wassers und des Slums anpassen und setzt ein architektonisches Zeichen der Zuversicht inmitten der Armut.

Dass in den Hauptausstellungen der Biennale kaum Beiträge aus Deutschland zu finden sind verwundert nicht. Denn solch wunderbar einfache und schöne Lösungen, wie sie aus Südamerika, Afrika oder Asien gezeigt werden, sind in Deutschland kaum denkbar. Zu groß sind hier die Beschränkungen, die den Architekten durch Vorschriften, Normen und Standards auferlegt werden. Darum ist es auch nur folgerichtig, dass einer der wenigen Beiträge aus Deutschland von Arno Brandlhuber stammt, dessen Architektur wunderbar in die Auswahl dieser Biennale passt, aber hierzulande immer wieder an die Grenzen des Erlaubten stößt.

Um so mehr sollten wir diese Biennale zum Anlass nehmen, um von den anderen zu lernen. Denn die großen Herausforderungen unserer Zeit kennen keine Grenzen. Das haben wir im vergangenen Jahr durch den unerwartet großen Zuzug von Asylsuchenden nach Deutschland deutlich zu spüren gekommen. Nun kann man den Verantwortlichen in Politik und Bauwirtschaft nicht zum Vorwurf machen, dass sie nicht reagiert hätten. Ganz im Gegenteil. Selten zuvor ist in so kurzer Zeit so viel dafür getan worden, die Neubauquote für den Wohnungsbau in die Höhe zu treiben. Die Bauwirtschaft hat bereits mächtig an Fahrt aufgenommen und freut sich über volle Auftragsbücher. Was für Ergebnisse wir davon zu erwarten haben, das kann man übrigens im deutschen Pavillon sehen. Die Kuratoren haben nämlich in den vergangenen Monaten Projekte aus ganz Deutschland gesammelt, die für die Unterbringung von Flüchtlingen geplant und gebaut wurden (Kommentar „Making Unterkunft“). Der Erfindungsgeist und die Schönheit, die man bei vielen anderen Projekten auf der Biennale bestaunen kann, sind jedenfalls Mangelware.

Für all diejenigen, die nicht die Gelegenheit haben, sich selber ein Bild vor Ort zu machen, werden wir in den kommenden Wochen ausgewählte Projekte und Länderpavillons präsentieren. Den Anfang macht der österreichische Pavillon, der sich ebenfalls dem Flüchtlingsthema gewidmet hat. (Beitrag Orte für Menschen – Der österreichische Pavillion auf der Architektur-Biennale in Venedig).

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